Freitag, 15. März 2013

Die Kunst, der "Herr Karl" und ich


„Wenn es nach mir ginge, ich schaffert das alles ab!“

 

....sprach „Herr Karl“, eine von Karl Merz hervorragend skizzierte Figur des typischen Österreichers, die nicht zuletzt dank Helmut Qualtingers Schauspielkunst Unsterblichkeit erlangte.
 
Dieser urtümliche Ausspruch eines in einer Feinkosthandlung tätigen "Lebenskünstlers" der Nachkriegszeit, der alle bösen Charaktereigenschaften der Österreicher in sich vereint, warf damit indirekt eine der fundamentalsten Fragen auf, die man der Kunst vorlegen kann: die Frage nach dem „Za-wos-brauch-ma-des?"

Braucht die Gesellschaft Kunst? Braucht die Kunst eine Gesellschaft? Brauchen sie einander?

"Herr Karl" braucht sie nicht, aber vielleicht braucht die Kunst den "Herrn Karl"?

Viele der Künstler beantworten auch die letzte dieser Frage mit einem eindeutigen "Nein". Vom künstlerischen Geschmack des "Herrn Karl" halten sie wenig.

Dennoch: Kunst bezieht sich auf die Welt und  "Herr Karl" ist ein Teil davon.

Auch die Tatsache, dass Kunst ausnahmslos mit einer ihr zugrunde liegenden Intention - mit einem Zweck ausgestattet - gemacht wird, kann man nicht leugnen. So behält sie ihren Bezug zu allem Irdischen.

Nicht einmal die sogenannte „reine“ Kunst, also die Kunst, die nur der Kunst wegen (l’art pour l’art) geschaffen wird, dürfte man berechtigter Weise „zweckfreie Kunst“ nennen. Ihr Zweck liegt zwar nicht außerhalb der Kunst, aber innerhalb des Systems Kunst ist sie, weil sie sich immer auch als Reaktion, als Antwort auf bereits bekannte Kunstwerke versteht, keineswegs zweckfrei.

Wer behauptet, Kunst wolle nichts, sie genüge sich selbst, hat nichts von ihrem Wesensgehalt verstanden!

Selbst dann, wenn der Künstler das Kunstwerk nur für sich erschuf, ist es mit einem Zweck aufgeladen. Vielleicht mit dem, Befriedigung zu verschaffen.

Der Begriff „Kunst“ ist ohne den Begriff „Zweck“ undenkbar. Allein damit, dass man etwas als Kunst definiert, hat man diesem bereits einen Zweck zugewiesen. Der Zweck der fälschlich „zweckfrei" genannten Kunst  liegt zumindest darin, Kunst zu sein.

Kunst ist darüber hinaus insofern zweckgebunden als der vernünftige Mensch nur das tut, was ihm in irgendeiner Weise sinnvoll erscheint.

Kunst will etwas! Aber was?

Einer der ursprünglichsten Zwecke der Kunst  ist es, Aufmerksamkeit zu erregen.

Da Kunst Aufmerksamkeit erreichen will,  muss sie sich über ihren Zweck hinaus zum Mittel machen und sich fragen lassen, auf welche Art dies geschehen soll.

Sie muss schon etwas ganz Außerordentliches bieten, will sie einen längeren Blick, ein intensiveres Zuhören oder gar ein Verweilen des Rezipienten erreichen.

Kunst ist schon lange nicht mehr nur das Ergebnis, das Endprodukt, schon lange nicht mehr die kunstfertige Gestaltung allein, auch ihr innovativer Gehalt reicht nicht mehr, Kunst muss darüber hinaus auch noch über weitere Fähigkeiten verfügen: Sie muss Neues, bisher Ungedachtes, Überraschendes hervorbringen. Dennoch misst sich ihre Güte nicht nur an ihrem inhaltlichen oder formalen Akzent von „Neuheit“ oder  an der  Höhe der erreichten  Auktionspreise, sondern eben auch daran, wie viel Aufmerksamkeit zu binden sie imstande ist.

Eine von vielen Möglichkeiten Aufmerksamkeit zu erregen, besteht darin, gegen Gewohnheiten, gegen Konventionen, gegen Verbote zu verstoßen und Tabus zu brechen.

Und da tut sich auch die Kunst schwer!

Wir leben in einem „aufgeklärten Jahrhundert“! Man kann über alles reden, man darf fast alles tun. Die Tabus wurden hinweggefegt?

Falsch getippt!

Auch das 21. Jahrhundert ist imstande in Hinblick auf Tabus einiges zu bieten:

So gibt es immer noch zahlreiche Vertreter von in mittelalterlichen Weltbildern verharrenden religiösen Eiferern, die sich in ihren Zornausbrüchen mit jenen abwechseln, deren Position sich als das genaue Gegenteil dessen definiert.

Es gibt aber auch viele andere sich als  fortschrittlich definierende Gruppen, die bestimmte Inhalte aus der öffentlichen Diskussion verbannt sehen wollen und liebend gerne mit dem Totschlagargument  "political correctness" agieren, um die ihnen unliebsame Meinungen zu unterdrücken.

In der Politik tabuisiert man beispielsweise viele Fragen der sogenannten „Geschichtsaufarbeitung“ , der „Bewältigung“ der traurigen jüngeren Vergangenheit; tabu scheinen auch der seit dem Zerfall des Ostblocks als unübertrefflich geltende Kapitalismus,  das Geldwesen, nicht zu letzt der vielbeschworene "Markt“ zu sein. Auch das Gebiet der  Ethik hat einiges zu bieten;  hier sind es hauptsächlich Fragen der Euthanasie  und der Eugenetik, die tabuisiert werden.

Obwohl alles das auch Betätigungsfelder einer „kritischen Kunst“ sein könnte, werden diese Bereiche thematisch kaum genützt.

Selbst wenn sich Künstler in ihrer Funktion als Bürger zu diesen brisanten Fragen äußern, scheinen sie streng darauf zu achten, den „herrschenden Mainstream“ ihrer Sozietät nicht zu verlassen; teilen Künstler diesen „Mainstream der Korrektheit“ nicht, äußern sie sich meist auch nicht. Insofern unterscheiden sich Künstler in ihrem Verhalten kaum von dem des sogenannten „Durchschnittsbürgers“.

Die  bevorzugten Tabubrüche der Künstler laufen hingegen meist in mehr oder weniger sicheren Bereichen ab, dort wo immer noch althergebrachte, aber „ungefährliche“ Konventionen am Werk sind. Im Bereich der grundlegenden, unvermeidbaren menschlichen Bedürfnisse: Sexualität, Notdurft, Exkremente, Körpersäfte und Tod sind neben religiösen Thematiken  immer noch die am häufigsten künstlerisch bearbeiteten Tabubereiche.

Wozu also brauchen wir sie noch die Kunst, wenn sie sich längst damit zufrieden zu geben scheint, auf bereits „rollende Züge“ aufzuspringen oder "alte Zöpfe" immer wieder auf’s Neue zu bearbeiten?

Seit Jahrzehnten sich darauf zu berufen, „eingefahrene Sehgewohnheiten“ des Betrachters verunsichern oder zumindest in neue Bahnen lenken zu wollen, trägt nicht allzu viel dazu bei, das Image der Kunst aufzubessern, zumindest solange nicht, als Museumskuratoren  nicht davon abgehen, bei ihren Ausstellungen zum x-ten Mal einen "Müllberg" in ihrem Haus installieren zu lassen.

Innovationen muss man suchen wie die Stecknadel im Heuhaufen.

Vielleicht aber ist gerade das das Aufregende mit der Kunst.

 

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