„Wenn es nach mir ginge, ich schaffert das alles ab!“
....sprach „Herr Karl“, eine
von Karl Merz hervorragend skizzierte Figur des typischen Österreichers, die
nicht zuletzt dank Helmut Qualtingers Schauspielkunst Unsterblichkeit erlangte.
Braucht die Gesellschaft
Kunst? Braucht die Kunst eine Gesellschaft? Brauchen sie einander?
"Herr Karl" braucht
sie nicht, aber vielleicht braucht die Kunst den "Herrn Karl"?
Viele der Künstler
beantworten auch die letzte dieser Frage mit einem eindeutigen
"Nein". Vom künstlerischen Geschmack des "Herrn Karl"
halten sie wenig.
Dennoch: Kunst bezieht sich
auf die Welt und "Herr Karl"
ist ein Teil davon.
Auch die Tatsache, dass Kunst
ausnahmslos mit einer ihr zugrunde liegenden Intention - mit einem Zweck
ausgestattet - gemacht wird, kann man nicht leugnen. So behält sie ihren Bezug
zu allem Irdischen.
Nicht einmal die sogenannte
„reine“ Kunst, also die Kunst, die nur der Kunst wegen (l’art pour l’art)
geschaffen wird, dürfte man berechtigter Weise „zweckfreie Kunst“ nennen. Ihr
Zweck liegt zwar nicht außerhalb der Kunst, aber innerhalb des Systems Kunst
ist sie, weil sie sich immer auch als Reaktion, als Antwort auf bereits
bekannte Kunstwerke versteht, keineswegs zweckfrei.
Wer behauptet, Kunst wolle
nichts, sie genüge sich selbst, hat nichts von ihrem Wesensgehalt verstanden!
Selbst dann, wenn der
Künstler das Kunstwerk nur für sich erschuf, ist es mit einem Zweck aufgeladen.
Vielleicht mit dem, Befriedigung zu verschaffen.
Der Begriff „Kunst“ ist ohne
den Begriff „Zweck“ undenkbar. Allein damit, dass man etwas als Kunst
definiert, hat man diesem bereits einen Zweck zugewiesen. Der Zweck der
fälschlich „zweckfrei" genannten Kunst
liegt zumindest darin, Kunst zu sein.
Kunst ist darüber hinaus
insofern zweckgebunden als der vernünftige Mensch nur das tut, was ihm in
irgendeiner Weise sinnvoll erscheint.
Kunst will etwas! Aber was?
Einer der ursprünglichsten
Zwecke der Kunst ist es, Aufmerksamkeit
zu erregen.
Da Kunst Aufmerksamkeit
erreichen will, muss sie sich über ihren
Zweck hinaus zum Mittel machen und sich fragen lassen, auf welche Art dies
geschehen soll.
Sie muss schon etwas ganz
Außerordentliches bieten, will sie einen längeren Blick, ein intensiveres
Zuhören oder gar ein Verweilen des Rezipienten erreichen.
Kunst ist schon lange nicht
mehr nur das Ergebnis, das Endprodukt, schon lange nicht mehr die kunstfertige
Gestaltung allein, auch ihr innovativer Gehalt reicht nicht mehr, Kunst muss
darüber hinaus auch noch über weitere Fähigkeiten verfügen: Sie muss Neues,
bisher Ungedachtes, Überraschendes hervorbringen. Dennoch misst sich ihre Güte
nicht nur an ihrem inhaltlichen oder formalen Akzent von „Neuheit“ oder an der
Höhe der erreichten
Auktionspreise, sondern eben auch daran, wie viel Aufmerksamkeit zu
binden sie imstande ist.
Eine von vielen Möglichkeiten
Aufmerksamkeit zu erregen, besteht darin, gegen Gewohnheiten, gegen
Konventionen, gegen Verbote zu verstoßen und Tabus zu brechen.
Und da tut sich auch die
Kunst schwer!
Wir leben in einem
„aufgeklärten Jahrhundert“! Man kann über alles reden, man darf fast alles tun.
Die Tabus wurden hinweggefegt?
Falsch getippt!
Auch das 21. Jahrhundert ist
imstande in Hinblick auf Tabus einiges zu bieten:
So gibt es immer noch
zahlreiche Vertreter von in mittelalterlichen Weltbildern verharrenden
religiösen Eiferern, die sich in ihren Zornausbrüchen mit jenen abwechseln,
deren Position sich als das genaue Gegenteil dessen definiert.
Es gibt aber auch viele
andere sich als fortschrittlich
definierende Gruppen, die bestimmte Inhalte aus der öffentlichen Diskussion
verbannt sehen wollen und liebend gerne mit dem Totschlagargument "political correctness" agieren, um
die ihnen unliebsame Meinungen zu unterdrücken.
In der Politik tabuisiert man
beispielsweise viele Fragen der sogenannten „Geschichtsaufarbeitung“ , der
„Bewältigung“ der traurigen jüngeren Vergangenheit; tabu scheinen auch der seit
dem Zerfall des Ostblocks als unübertrefflich geltende Kapitalismus, das Geldwesen, nicht zu letzt der
vielbeschworene "Markt“ zu sein. Auch das Gebiet der Ethik hat einiges zu bieten; hier sind es hauptsächlich Fragen der
Euthanasie und der Eugenetik, die
tabuisiert werden.
Obwohl alles das auch
Betätigungsfelder einer „kritischen Kunst“ sein könnte, werden diese Bereiche
thematisch kaum genützt.
Selbst wenn sich Künstler in
ihrer Funktion als Bürger zu diesen brisanten Fragen äußern, scheinen sie
streng darauf zu achten, den „herrschenden Mainstream“ ihrer Sozietät nicht zu
verlassen; teilen Künstler diesen „Mainstream der Korrektheit“ nicht, äußern
sie sich meist auch nicht. Insofern unterscheiden sich Künstler in ihrem
Verhalten kaum von dem des sogenannten „Durchschnittsbürgers“.
Die bevorzugten Tabubrüche der Künstler laufen
hingegen meist in mehr oder weniger sicheren Bereichen ab, dort wo immer noch
althergebrachte, aber „ungefährliche“ Konventionen am Werk sind. Im Bereich der
grundlegenden, unvermeidbaren menschlichen Bedürfnisse: Sexualität, Notdurft,
Exkremente, Körpersäfte und Tod sind neben religiösen Thematiken immer noch die am häufigsten künstlerisch
bearbeiteten Tabubereiche.
Wozu also brauchen wir sie
noch die Kunst, wenn sie sich längst damit zufrieden zu geben scheint, auf
bereits „rollende Züge“ aufzuspringen oder "alte Zöpfe" immer wieder
auf’s Neue zu bearbeiten?
Seit Jahrzehnten sich darauf
zu berufen, „eingefahrene Sehgewohnheiten“ des Betrachters verunsichern oder
zumindest in neue Bahnen lenken zu wollen, trägt nicht allzu viel dazu bei, das
Image der Kunst aufzubessern, zumindest solange nicht, als
Museumskuratoren nicht davon abgehen,
bei ihren Ausstellungen zum x-ten Mal einen "Müllberg" in ihrem Haus
installieren zu lassen.
Innovationen muss man suchen
wie die Stecknadel im Heuhaufen.
Vielleicht aber ist gerade
das das Aufregende mit der Kunst.
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