Sonntag, 11. August 2013

Schleichend entfernt sich die Kunst von der Gesellschaft?


Vielerorts wird behauptet, die moderne Kunst hätte sich in dermaßen abgehobene Sphären erhoben, dass sie den Bezug zu ihrem Publikum schon ganz verloren hätte. Unverständlich sei sie geworden und beliebig in ihren Qualitätsmaßstäben. Zudem blieben dem Publikum die sie stützenden theoretischen Konzepte ohne eine zusätzliche literarische Einführung durch einen elitären Expertenkreis meist ohnehin ein Rätsel.

So sei es nicht verwunderlich, wenn sich das Publikum in Ermangelung eines klaren Konzeptes von der Kunst abwende und der Kunst jede gesellschaftliche Funktion abspreche.

Diese durch und durch pessimistische Auffassung vermag ich nicht zu teilen.

Wann sind jemals in der Geschichte so viele Menschen in die Museen geströmt wie heute?  Allein die Albertina in Wien vermeldet fast bei jeder ihrer Ausstellungen Besucherrekorde. Die Museumspädagogik feiert fröhlich Urständ, die „Lange Nacht der Museen“ und viele andere touristische Einrichtungen schleusen wahre Besucherströme in die heiligen Tempel der Kunst. Und: Wann jemals in der Geschichte haben sich so viele Menschen selbst in diesem Metier versucht, wie in unseren Tagen?

Andererseits aber dürfte es auch eine unbestreitbare Tatsache sein, dass der Großteil der Menschen mit "Kunst" in dem Sinne, wie wir diesen Begriff heute benützen (als Erscheinung der innovativen, avantgardistischen Hochkultur), wenig im Sinn hat. Auch daran wird sich über die Jahrhunderte hin wenig verändert haben.

Wie vielen Menschen der vorangegangen Jahrhunderte war die Kunst ein Anliegen?

War die Beschäftigung mit Kunst nicht eigentlich  immer ein Minderheitenprogramm einiger weniger Personengruppen, die sich diesen Luxus eben leisten konnten. Die „Masse“ interessierte Kunst nie. Abgesehen davon, dass „der Masse“ lange überhaupt kein Zugang zu Kunstwerken gewährt wurde, weil sich Kunst, sieht man von der religiös geprägten Kunst, die zur „Belehrung“ der analphabetischen Bevölkerung in Kirchen gezeigt wurde,  in erster Linie in Privatsammlungen fand. Das „gewöhnliche“ Volk hatte meist mehr damit zu tun, seine lebenswichtigen Grundbedürfnisse zu decken, als Gedanken an die Tragfähigkeit künstlerischer Konzepte zu verschwenden.

Die philosophische Beschäftigung mit Kunst, mit ihrer gesellschaftlichen Funktion, mit den Qualitätserfordernissen von Kunst betrifft natürlich auch heute lediglich einen kleinen elitären Kreis. Dass sich darüber hinaus, in den letzten Jahrzehnten aber doch immer mehr Menschen mit Kunst befassen, dürfte von bestimmten gesellschaftlichen Begleiterscheinungen befördert worden sein. (Abdeckung grundlegender Vitalbedürfnisse, Arbeitszeitverkürzung, Säkularisierung der Gesellschaft und Sinnsuche, u.v.a.m.)

Der sich über diese elitären Kreise weit hinaus ausbreitende Wunsch, sich mit Kunst zu beschäftigen - im modernen Sinne  und im Sinne der aktiven Freizeitbeschäftigung verstanden - wird man also eher im Zusammenhang mit dem  „Wohlstandsphänomen“ oder mit dem Phänomen „Erlebnisgesellschaft“ (Vgl. Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft, Kultursoziologie der Gegenwart, Campus, 2005) sehen müssen.

Der Mensch bekam durch die Möglichkeiten der Rationalisierung weiter Lebensbereiche ein zusätzliches Quantum an Zeit, das er für sich und sein Vergnügen verwenden kann. Ein Teil der Menschen wandte sich eben dem zu, was wir als „Kunst“ bezeichnen.

Dafür, dass sich so viele Menschen wie noch nie selbst künstlerisch zu betätigen wagen, ist sicherlich der „Aufweichung der Qualitätskriterien“, die die Postmoderne mit sich brachte, zu verdanken.

Gleichzeitig hat sie mit ihren Hinweis auf die „Vergänglichkeit der Großen Erzählungen“ auch wesentlich zur allgemeinen Verunsicherung beigetragen und die Kriterien dafür, was als Kunst angesehen werden kann, fast bis zur Beliebigkeit erweitert. Das kann man beklagen oder begrüßen. Das hängt von den eigenen Werthaltungen und Ansprüchen ab, die man an die Kunst stellt. Gerade diese Aufweichung in Richtung Beliebigkeit und Anspruchslosigkeit ist es, die manchem Zeitgenossen Sorge bereitet. Vielerorts wünscht man sich einen die Kunst begleitenden Wertekanon, mithilfe dessen man die „Spreu vom Weizen“ möglichst ohne Anstrengung trennen können sollte. Durch das Fehlen eines solchen Kataloges ist es für ernsthafte Künstler auch schwieriger geworden, ihr Publikum von der Qualität ihrer Arbeiten zu überzeugen und sich von den sogenannten „Hobbykünstlern“ abzugrenzen.

Als Künstler aber wird man ohnehin keine andere Möglichkeit haben, als sich selbst einen solchen Anforderungskatalog zu erstellen, dem die eigenen Arbeiten genügen müssen.

Aber: Was gewänne man,  was gewänne die Gesellschaft, was gewänne die Kunst, wenn man  Kriterien dafür, was Kunst zu sein hat, dann (allen anderen) als allgemeinverbindlich und unumstößlich präsentiert?

Ist für die Kunst, ist für die Gesellschaft nicht mehr gewonnen, wenn jeder für sich selbst entscheiden darf, was er als Kunst zu akzeptieren gedenkt und was nicht?

Was rührt es mich, was rührt es die Kunst, könnte man sagen, wenn die Leute Hansi Hinterseer, die Stoakoagler, Henze oder Einem oder doch nur Mozart für einen Künstler halten?

Muss die Kunst, muss der Künstler denn unbedingt einem Missionierungsauftrag folgen?

Geht es um Eitelkeiten oder geht es um Geld, worum geht es? Was „die Menschen“ als Kunst akzeptieren und was nicht, sollte für die Kriterien, die sich der „Schaffende“ selbst aufstellt, mehr oder weniger irrelevant bleiben, das zu erreichen, sollte schwierig genug sein.


Eine wesentliche Differenz in den Auffassungen scheint oft darin zu liegen, dass man meint, den Künstler, die Kunst - im weitesten Sinne verstanden – mit einer Art von "gesellschaftlicher Aufgabe" betrauen zu müssen, die dieser zu erfüllen hätte.

Die Kunst hätte die Aufgabe die Gesellschaft verändern, wird gefordert. Die Kunst habe einen Bildungsauftrag und diesem könne sie nur dann nachkommen, wenn ihre Qualitätskriterien eindeutig und unwiderlegbar bestimmt seien. Diese Forderung wird nicht selten erhoben, obwohl gleichzeitig immer auch von der Kunst als "poetischer Macht der Zwecklosigkeit" (l'art pour l'art?) gesprochen wird.

Der Künstler und das künstlerisch interessierte Publikum ist seit der Postmoderne aufgerufen, diese Frage für sich allein zu entscheiden.

Entweder man sieht sich als Gesellschaftsveränderer oder aber man nimmt einen  total konträren, einen egoistischen, vielleicht sogar ein autistischen Standpunkt ein und verzichtet auf die sogenannte "Zwiesprache" mit dem Publikum ganz. Keine Ausstellungen, keine Öffentlichkeit, keine Eitelkeiten, nur den Dienst an der Sache Kunst.

Warum sollte es nicht ein ebenso berechtigter Standpunkt sein, einen der Kunst zugeschriebenen Bildungsauftrag nicht mitmachen zu wollen.  Warum, könnte man fragen, schnallt man der Kunst so gerne diesen Rucksack mit sozialarbeiterischen Ambitionen um?

Die Feststellung, jeder dürfe für sich entscheiden, was er als Kunst ansehe, zeigt neben dem ihm gerne unterstellten Aspekt des Heuchlerischen, ein real existierendes, gesellschaftliches Phänomen und dies obwohl über den "offiziellen Kunstbegriff" natürlich festgefügte hierarchische Institutionen mit Argusaugen Wache halten.

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